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"We were born to die", singt Lana Del Rey, die Blumengekrönte, die ihre Schwerblütigkeit zu einem musikalischen Geschäftsmodell poetisieren konnte. "Ja, aber bitte nicht an Corona!", brüllte das Internet diese Woche zurück.
Bei der Buchpremiere ihres Gedichtbandes "Violet Bent Backwards over the Grass" und der anschließenden Signierstunde in einer Buchhandlung in Los Angeles trug sie, während alle Anwesenden und ihr Team die AHA-Regeln befolgten, eine weitmaschige Fischnetzmaske. Der Mund-Nasen-Schutz war zweifellos dekorativ, nur hätte sie genauso gut ein Orangennetz über ihr Gesicht ziehen können, die Durchlässigkeit wäre vermutlich dieselbe gewesen.
Lana Del Rey meets with fans at surprise book signing event for her collection of poetry, #VBBOTG, in LA. 📚 pic.twitter.com/t2H7hYAvhz
— Pop Crave (@PopCrave) October 3, 2020
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Ob sie darunter noch einen weiteren, transparenten, tatsächlich schützenden Stoff trug, klärte sie nicht auf. Aber der Anschein einer gesundheitsgefährdenden Eitelkeit hat sich inzwischen ohnehin verselbstständigt. Dass Del Rey mit etlichen Fans Kopf an Kopf Fotos machte, verbesserte den Eindruck einer Nachlässigkeit nicht.
Aktuell befinden sich Personen der Öffentlichkeit in besonderem Fokus. Bei Stars und Promis wird noch genauer hingeschaut, ob sie sich an die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie halten, jede Selbstvergessenheit wird registriert und sofort kritisiert. Das haben in Deutschland unter anderen auch schon Christian Lindner und Ricarda Lang erfahren dürfen.
Der unvorbildliche Kontrollverlust bei Menschen, denen man eine Vorbildfunktion zuschreibt, sorgt umso mehr für Frustration, wenn man glaubt, sich selbst an die Regeln zu halten. Denn dann wird aus Frust Verurteilung. Zugleich bewegt einen die Enttäuschung darüber, dass ein Vorbild genauso fehlbar, wenn nicht sogar fehlbarer als man selbst ist. Die Öffentlichkeit empfindet es geradezu als eine Kränkung, wenn sich ein Idol vom gesellschaftlichen Podest stürzt oder zumindest daran wackelt.
Das führt uns zum "Vorbild-Paradox", wie ich es nennen möchte: Wir erwarten von Personen der Öffentlichkeit, dass sie Vorbilder sind, für uns, für unsere Kinder, für die Gesellschaft; zugleich verehren wir sie jedoch dafür, eben nicht dem Durchschnitt zu entsprechen, sondern der Illusion eines vermeintlich unerreichbaren Ideals. Sie sind Idole, weil sie eine "Unverfügbarkeit" bedienen, wie der Soziologe Hartmut Rosa es bezeichnet; also etwas, das wir nicht kontrollieren und planen können.Dementsprechend sind gerade Stars eigentlich eher schlechte Vorbilder, eben weil sie Stars sind.
Ihr wesentliches Versprechen ist nicht, dass sie wie wir sind, sondern ihr Mythos, ihr Image, ihre Erzählung suggerieren uns bestenfalls, dass sie nie so wie wir waren und niemals so sein werden. Gleichzeitig werden Stars zwangsläufig zu Vorbildern, weil sie in der öffentlichen Wahrnehmung existieren. Ihr Handeln wirkt stilprägend und setzt den Ton für das, was als erstrebenswert gilt.
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Lana Del Reys ornamentale Maske verdeutlicht hierbei auf besondere Weise, wie durch Covid-19 das Vorbild-Paradoxon verstärkt wird: Einerseits müssen Prominente ihre Pflichten als Role Model jetzt ganz besonders ernst nehmen, weil ihre Vorbildlichkeit buchstäblich existenziell ist - denn warum sollte man selbst eine Maske tragen, wenn sogar PolitikerInnen und SängerInnen das nicht machen?
Andererseits offenbarte die Pandemie noch deutlicher, wie weit weg Celebrities eigentlich von einer mit Schutzmaßnahmen beschäftigten Gesellschaft leben. Ein affirmativ geschnurrtes "Hey guys, stay at home" von Reality- und Contouring-Königin Kim Kardashian, die einen privaten Koch, Friseur und Trainer daheim hat, wirkt leer und fahl in Anbetracht der Wirklichkeit einer Zwölf-Stunden-Schichten schiebenden Kassiererin.
In seiner Diskrepanz konsequent
Als Jennifer Lopez im März bemerkte, dass sie in keine Restaurants mehr gehen, aber sich das "Restaurant" ja nach Hause holen kann, in dem dann ihr Sohn auf einem Mini-Segway durch den Garten am Pool vorbeisaust, um ihr wie ein Show-Kellner ein Getränk zu reichen, stellten wir fest: vorbildlich sein ist für manche leichter als für andere.
Ein frustriertes "Mir ist so langweilig, ich wünschte, ich hätte Kinder" von Ellen DeGeneres, die diese Äußerung ebenfalls im März aus einer Balinesisch angehauchten 8,188-Quadratfuß-Immobilie streamte, mutet überheblich an, vor allem, wenn sie dann ihre engsten Freunde anruft, wie Michelle Obama, Justin Timberlake und John Legend, um etwas gegen die Langeweile zu tun - wie man das halt so macht. In Anbetracht von Mehrkindfamilien, die in einer Zeit, als die Spielplätze geschlossen waren, in Zwei-Zimmer-Homeoffice-Wohnungen aufeinanderhocken mussten, wirken solche privaten Promi-Einblicke komplett weltfremd.
Dass die Sommerzeit-Melancholikerin Del Rey eine vermutlich nutzlose Maske trägt, die jedoch zu ihrer Ästhetik und Marke passt, für die sie von ihren Fans verehrt und geliebt wird, nur damit sie scheinbar die von ihr erwartete Geste des Masketragens erfüllt - das ist in seiner Diskrepanz im Grunde konsequent. Denn genau hier hört das Vorbild auf, Vorbild zu sein: Wenn Stars merken, wie anstrengend es sein kann, wie alle anderen sein zu müssen.